Wo steht das älteste Haus in Stadtlengsfeld?
Es befindet sich vermutlich in der Jacobsgasse und trägt die Hausnummer 4.
Älteste Einwohner eines Ortes genießen Aufmerksamkeit. Angehörigen, Nachbarn und gute Bekannte bieten ihnen ihre Hilfe an, damit die Betagten die Anforderungen meistern können, die das hohe Alter stellt. Zu „runden“ Geburtstagen finden sich dann auch „hohe“ Gäste ein und nicht selten ist auch die Presse dabei, um über diese Jubiläen zu berichten. Die Erinnerungen dieser Jubilare werden geschätzt. Sie sind Zeitzeugen einer schon fast vergessenen Geschichte.
Einem alten Gebäude widerfährt eine solche Aufmerksamkeit zumeist nicht. Zumindest nicht in Stadtlengsfeld. Hier werden denkwürdig alter Gemäuer dem Siechtum überlassen. So auch das Fachwerkhaus mit der Nummer 4 in der Jacobsgasse. Eine dendrochronologische Untersuchung seiner tragenden Fachwerkbalken ergab nun, dass es 1594 erbaut wurde. Somit ist es im Jahr 2023 immerhin 429 Jahre alt.
Gewiss gibt es steinerne Zeugnisse, die schon zur Gründerzeit unseres Ortes verbaut wurden. So zum Beispiel die noch sichtbaren Reste der einstigen Stadtmauer. Aber auch die werden in Stadtlengsfeld dem endgültigen Verschwinden überlassen. Dabei kümmert es die Gemeindeverantwortlichen nicht, dass auch sie unter Schutz gestellt wurden und somit Aufmerksamkeit und Pflege zu ihrer Erhaltung bedürfen. Das Zerstörungswerk, was die Zeit verrichtet, ist nicht nur an den Resten der Stadtbefestigung um Burgplatz zu besichtigen.
Hier bemächtigen sich sogar Sträucher und Bäume den Resten der alten Stadtbefestigung und zerstören mit ihren Wurzeln das Mauerwerk.
So ist es nur eine Frage der Zeit, wann das ehemalige Frauenhaus am Markt krachend in sich zusammenfällt. Anderen denkwürdigen Häusern droht ein ähnliches Schicksal, wie zum Beispiel dem ehemaligen Landwarenhaus im Obertor.
Kehren wir zurück zur Jacobsgasse 4. Nicht immer wurde dieses Haus unter dieser Adresse geführt. Lange Zeit wurde dieser Stadtteil „Die blaue Pfütze“ genannt. Rolf Schlegel und Rolf Leimbach haben die Herkunft dieses Namens in den Bänden 3, 7 und 8 in der Reihe „Lengsfelder Geschichte“ erklärt. Danach standen die Blaufärber von der Stadt Lengsfeld Pate bei dieser Namensgebung. Könnten diese Mauern sprechen … appetitlich ging es beim Entstehen dieser blauen Pfütze wahrlich nicht zu.
Auf diesem Plan von 1820 ist die heutige Jacobsgasse noch als "Die blaue Pfütze" benannt.
Die Besitzverhältnisse dieses Hauses sind nicht einfach zu erklären. Wir versuchen es trotzdem, indem wir uns die „Feinheiten“ ersparen. Zur Zeit seiner Errichtung 1594 waren die Freiherren von Boineburg die Eigentümer. 1735 wurde es den Freiherren von Müller zugesprochen. 1870 kommt das Oberhaus in den Besitz des Bernhard Karl Georg von Mosengeil. Er vererbt das Rittergut Lengsfeld seiner Tochter Herda, die sich mit dem Dr. med. Otto Bender verheiratet. Dieser übergibt diesen Besitz um 1932 seinem Sohn Dr. med. Harald Bender. Der lässt dieses Gut verkommen, sodass es 1942 zwangsweise aufgelöst wird. So geht das Oberhaus in der Jacobsgasse in das Eigentum der Stadt über. Nach 1945 wird es privates Wohneigentum. Zur Zeit ist es unbewohnt. Deshalb siecht es vor sich hin.
Was könnte dieses Haus alles erzählen! Es erlebte den 30jährigen Krieg mit seinen vielen Truppendurchmärschen und den Einfällen der Kroaten. Es war Zeuge der Brandschatzungen, Plünderungen und vielfältiger Gewalttaten an den Einwohnern. Es sah den schwarzen Tod kommen und gehen bis schließlich nur noch 17 Familien in der Stadt lebten. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die Stadt wieder mit Leben füllte. Der Großgrundbesitz derer von Boineburg und von Müller verhinderte die Bildung bäuerlicher Einzelwirtschaften. Die Patrimonialherrschaft stand der Entwicklung städtischer Selbstverwaltung entgegen. Die Feudallasten erstickten die Bemühungen um das Entstehen frühbürgerlicher Unternehmen. Die Bewohner des Oberhauses konnten 1848 erleben, wie sich die Bevölkerung von Stadtlengsfeld, Weilar und Gehaus der Patrimonialherrschaft schließlich entledigte und die Patrimonialherrschaften zwangen, die Feudallasten abzuschaffen, wenn auch diese Erfolge nicht von Dauer waren. Dann kam das Schicksalsjahr 1878, in dem die Gemäuer des Oberhauses nur um Haaresbreite dem Feuertod entgingen. Das vorsätzlich gelegte Feuer raste an der heutigen Jacobsgasse entlang, verschonte aber das Oberhaus mit seinen Nebengemäuern.
Das hier rot eingefärbte Gebiet legte der Brand in Schutt und Asche.
Diese Aufnahme zeigt das Oberhaus am linken Bildrand (Fachwerkhaus). Der Dachstuhl wurde um 1900 erneuert.
In den Nebengebäuden des Oberhauses befand sich nach dem 2. Weltkrieg die Schmiede des Herrn Öchel. Danach wurde es Sammelstelle für Sekundärrohstoffe. 1991 schließlich begann der Abriss dieser Nebengebäude und machte Platz für die Erweiterung der Parkplätze der Dr. Becker Burgklinik.
Die Schmiede am Oberhaus.
Abriss der Nebengebäude am Oberhaus.